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Fakultät Sozialwissenschaften

Vielfältige Familien: Elternschaft und Familie/n jenseits von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit

Beginn: Ende: Veranstaltungsort: Humboldt-­Universität zu Berlin
© Tetiana Shyshkina​/​unsplash
Kaffepause auf einer Konferenz © Olga Serjantu​/​unsplash
Gemeinsame Tagung des DFG-VielFam-Projektes, des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) und des Lehrbereichs Soziologie der Arbeit und Geschlechter­verhältnisse der HU Berlin

Was ist eine Familie und wenn ja, wie viele? Elternschaft, Familie und Verwandtschaft werden in vielen Arenen und historischen Epochen verhandelt: ob in Politik und Medien, Comics und Filmen, Künsten und Wissenschaften, Technologie und Medizin, im Recht oder im privaten Alltag. Neben der ‚heterosexuellen Kernfamilie‘, die im golden age of marriage rechtlich und normativ institutionalisiert war, werden und wurden Elternschaft und Familie in diversen Konstellationen verwirklicht. Diese Pluralität findet heute teils rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung. Zugleich werden aber Elternschaft und Familie jenseits der heterosexuellen Norm in vielen Staaten heftig bekämpft. Dabei sind die Leitbilder, Repräsentationen und gelebten Wirklichkeiten von Familie und intimen Nahbeziehungen – historisch und global gesehen – weder vorsozial noch ein für alle Mal gegeben, sondern unterliegen fortwährendem Wandel.

Für die gegenwärtigen Verhandlungen von Familie, Verwandtschaft und Elternschaft sind verschiedene Aspekte besonders prägend: Neben sozialen und kulturellen Entwürfen von Näheverhältnissen und Wahlverwandtschaften spielen auch neue Reproduktionstechnologien und die dadurch vermittelte Vorstellung von ,genetischer Wahrheit‘ eine zentrale Rolle. Eine Verengung auf leiblich-genetische Verwandtschaft steht der Anerkennung von sozialer und rechtlicher Elternschaft dabei möglicherweise entgegen. Angesichts der wachsenden Bedeutung neuer Reproduktionstechnologien sind Debatten über einander widersprechende Konzepte, über Normen und Praktiken, Chancen und Risiken, Anerkennung und Erfahrungen daher drängender denn je. Dabei müssen die ethischen, ökonomischen und gesellschaftspolitischen Implikationen dieser Möglichkeiten auch vor dem Hintergrund transnationaler Ungleichheiten sowie nationaler Bevölkerungspolitiken diskutiert werden. So sind die ‚Freiheitsversprechen‘ einer reproduktiven Wahl, z.B. angesichts rechtlicher Restriktionen im eigenen Land, mit Ausweichrouten in ausländische Kliniken verbunden, und die globale Ökonomisierung reproduktiver Arbeit produziert neue Ungleichheiten. Zwar wird heute zunehmend darum gekämpft, eine große Pluralität familialer Lebensformen zu verwirklichen. Doch trans* und queer Lebende sowie rassifizierte und ökonomisch deprivilegierte Menschen stehen vor großen Herausforderungen, wenn sie rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung einfordern oder Reproduktionsmedizin in Anspruch nehmen wollen.

Im Fokus der Tagung stehen Verwandtschaftsbeziehungen, Familiengründungen und Elternschaften jenseits von heterosexueller Norm und Zweigeschlechtlichkeit. So ermöglichen Reproduktionstechnologien wie Samenspende, In-Vitro-Fertilisation oder Surrogacy (sog. ‚Leihmutterschaft‘) Familiengründungen mit heterogenisierter Akteur_innenbeteiligung, stärken aber auch leiblich-genetische gegenüber anderen Elternschaften. Dass das reproduktive ‚Personal‘ sich gleichwohl nicht notwendigerweise mit dem ‚Elternpersonal‘ deckt, zeigt sich in Begriffsneuerungen wie Mehrelternschaft, Multiple Elternschaft und Co-Parenting. Was Elternschaft und Familie (nicht) sind oder sein sollen, wird in gesellschaftlichen Narrativen und Diskursen, medialen und künstlerischen
Repräsentationen sowie rechtlichen Norm- und Normalitätsvorstellungen ausgehandelt. Diese reagieren keineswegs nur passiv auf technologisch-medizinische Innovationen, sondern entwerfen ihrerseits neue Vervielfältigungen von ‚Familie‘, Generationalität und Zusammenleben. Die Frage, wie alte und neue Elternschaftskonstellationen und Familienformen vor diesem Hintergrund gelebt, repräsentiert und rechtlich reguliert werden, eröffnet eine Vielzahl theoretischer, analytischer und empirischer Perspektiven.

Die Tagung „Vielfältige Familien“ will dieses Themenfeld in seiner Komplexität erkunden, lässt bewusst Raum für die Diskussion von Ambivalenzen und lädt ein zu Beiträgen mit folgenden Schwerpunkten:

  • Historischer Wandel und Persistenz von (Ideal-)Vorstellungen zu Mutterschaft und Vaterschaft: Elternschaft jenseits von Cisnormativität;
  • Reproduktive und familiale Handlungen, Darstellungen und Imaginationen queerer Utopien und Visionen in Theater und Literatur, Filmen und anderen Medien;
  • (Ungleiche) rechtliche und sozialpolitische Anerkennungsordnungen für Elternschaft, Familie und Verwandtschaft;
  • Biopolitische Regulierung und Ermöglichungen (oder Begrenzungen) von Reproduktionsmedizin im trans-/nationalen Kontext, einschließlich Implikationen für ein wissenschaftlich-theoretisches und/oder alltagspraktisches Verständnis von Familie und Verwandtschaft;
  • Familiale und reproduktive (Alltags-)Praxen dies- und jenseits der heterosexuellen Norm und Zweigeschlechtlichkeit;
  • Bevölkerungspolitiken: Geschlecht – Sexualität – Rassismus – Nation;
  • Post/koloniale und migrationswissenschaftliche Perspektiven;
  • Rechtliche Imaginationen der „guten Familie“: über „Kindeswohl“, „Elternrecht“, Recht auf „Kenntnis der Abstammung“ und Anfechtung der „(Schein-)Vaterschaft“:;
  • Familie und/oder Kinderlosigkeit: intergenerationale Beziehungen, single mothers and fathers? ( by choice), bewusste Entscheidung für ein Leben ohne eigene Kinder u.v.m.;
  • Familie(n) der Zukunft? Utopien und Dystopien zwischen Blutsbanden und Wahlverwandtschaft, Intimität und Solidarität, Keimzelle des Staates und politischer Privatheit.

Call geschlossen

Konzeption und Organisation:

Gabriele Jähnert, Jasmin Köhler, Ulrike Lembke, Leoni Linek, Mona Motakef, Almut Peukert, Nadja-Christina Schneider, Julia Teschlade, Ulrike Vedder, Christine Wimbauer